
Eine neue stoffliche Natürlichkeit. Die Momentaufnahme einer Wandlung.
Mit der Wahl der gewünschten Brünierung sowie der Menge und der Verteilung von Rostspuren, Wolken und Abriebstellen wird die außergewöhnliche Farbenwelt von Metallen auf die keramischen Oberflächen einer eleganten, zeitgemäßen Wandfliesenkollektion übertragen. Für den abgebildeten Materialzustand wurde genau der Zeitpunkt gewählt, an dem der perfekte Oxidationsgrad erreicht ist. So bietet Metamorfosi eine Optik, die der Autor zutreffend als bildnerische Umsetzung der „Patina der Zeit“ bezeichnet.
SERGIO RISALITI: „Metamorfosi: zwischen Kunst und Architektur“
Unter Einsatz moderner Verfahrenstechniken, die an Alchemie grenzen, fixiert Marco Casamonti mit seinem Büro Archea Associati die Optik natürlicher, veredelter oder gealterter Metalloberflächen auf Feinsteinzeugplatten, die zu großzügigen Wandbildern zusammengesetzt werden können. Weniger als um Design, handelt es sich hier um eine wohldurchdachte stoffliche Metamorphose, die sich im Grenzbereich zwischen der metallischen Beschichtung und der Metallwerdung von Keramik abspielt. Sie ermöglicht es, die Zeit im Bild festzuhalten und die Oberfläche in dem vom Architekten erwünschten Zustand definitiv zu fixieren. Die malerische Bildtransformation, erzeugt durch die unterschiedlichen Patinaoptiken, wird zu einem genau bestimmten Zeitpunkt und auf eine exakt definierte Weise zum Stillstand gebracht. Etwas Stabiles und Unveränderliches entsteht, eine unbewegliche, erstarrte Schönheit, die sich jedem weiteren Wandel entzieht. Man mag es einen Kampf gegen die Zeit nennen, einen Kampf gegen die Vergänglichkeit allen Seins oder den ewigen Wandel. Doch es geht um mehr. Es geht um die Suche nach einer höheren, beinah metaphysischen Stofflichkeit, die über das Werden hinausgeht, und um den Gedanken, dass der künstlerische Akt die Entropie besiegt und so die Natur bezwingt. Eigentlich schon Themen der Renaissance.
Das Interesse für Metall als Maluntergrund reicht insbesondere auf Alberto Burri und Lucio Fontana zurück und setzte sich später mit den Künstlern der Arte Povera, namentlich mit Jannis Kounellis, fort. Bei ihnen stand jedoch die zeitliche Verwandlung des Metalls im Mittelpunkt, das durch Oxidation und andere chemische Reaktionen eigentümliche Schimmereffekte ausbildete. Mit der Mutierung der Oberfläche mutierte auch die malerische Qualität. Burri bearbeitete seine Bleche mit dem Bunsenbrenner, während Fontana den illusorischen Bildraum mit Löchern und Schlitzen aufbrach. Doch möglicherweise kommen die keramischen Arbeiten von Melotti dieser neuen, rein stofflichen Auseinandersetzung von Marco Casamonti am nächsten. Der Architekt rückt nämlich die Natürlichkeit der Flächen erneut in die Dimension der Verewigung des Veränderlichen. Er bringt Oberflächeneffekte als metaphysische Landschaften, unfigürliche Malereien zum Ausdruck. In die Formensprache der Architektur übersetzt, entwickelte sich die Verwendung heterogener Materialien parallel oder antithetisch zu Klassikern wie Stein, Marmor und Holz. Heutzutage können sowohl Gebäudeflächen als auch bestimmte Gebäudestrukturen mit Materialien ausgeführt werden, die nachhaltig oder aus Sicherheitsgründen flexibel sind, Energie sparen oder sogar „interaktive“ Zwecke erfüllen. Doch bereits im 19. Jahrhundert gab es etliche interessante Vorstöße. Schon damals gab es Gebäudehüllen aus unkonventionellen Materialien oder wurden tragende Strukturen und sogar Bauformen von bestimmten Materialien beeinflusst. Man schaue sich nur die Eisenkonstruktionen von Markthallen und Brücken an. Beginnend bei den berühmten Passagen in Paris, Konstruktionen aus Glas und Metall, die mit Schwerelosigkeit, Transparenz und Licht das moderne Industriezeitalter feiern, bis hin zum Eiffelturm, der Apotheose des Eisens schlechthin. Ein weiterer Fall ist die als Art Nouveau bekannte modernistische Architektur in ihren verschiedenen nationalen Ausdrucksformen (Jugendstil in Österreich, Liberty in Italien), zu deren Pionieren der Architekt und Designer Henry van de Velde zählt. In der Wiener Secession - einer ihrer bedeutendsten Vertreter war Gustav Klimt - brachten die Architekten Wagner, Hoffmann und Olbrich erstmals Metall für neue Dekorationstechniken zum Einsatz. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist das Secessionsgebäude (1898), dessen üppig mit Gold verzierter Fassadenschmuck den Symbolcharakter des Edelmetalls betont und so dem Bau eine metaphysische Dimension verleiht.
In ganz Europa fand alsdann die Keramik Verbreitung. Sie verschönte hochherrschaftliche Bürgervillen und -häuser ebenso wie Ladenschilder und Ladenfassaden mit linearen und floralen Motiven und leuchtenden Farben. In Paris bog zur gleichen Zeit Hector Guimard Metall zu Rankenformen, die noch heute die Eingänge der Metro zieren. Die üppige Materialsprache führte anschließend, im Gegenzug, zur weitestgehenden Abstrahierung am Bau. Alles Überflüssige und Symbolhafte musste auf ein Mindestmaß reduziert werden, um Flächenkontraste und minimalistische Formen zu erzielen, die sich dem geometrischen Baukonzept der Renaissance, etwa bei Brunelleschi, annäherten. Ein weiteres Musterbeispiel ist das Werk des katalanischen Architekten Antoni Gaudí, den Le Corbusier einen „Berufsarchitekt in Stein, Eisen oder Ziegel“ nannte. Besonders erwähnenswert: die Kirche Sagrada Família und der grandiose Park Güell, wo Metall, Ziegel und Stein noch zusätzlich mit Glas und Keramik kombiniert werden. Um zur Gegenwart zu kommen, seien unter den wegweisenden Lösungen der jüngeren Zeit das Institut der arabischen Welt von Jean Nouvel in Paris, dessen Metallhaut die ornamentale Sprache und das Dekorationskonzept des Orients zitiert, oder die glänzende Titanhülle genannt, mit der Frank Gehry das weltbekannte Guggenheim-Museum in Bilbao versehen hat, oder, warum auch nicht, die wunderschöne Formensprache der Cantina Antinori, ein von Archea Associati gestalteter Winzerbetrieb, bei dem Marco Casamonti in Anbindung an das landschaftliche Umfeld und die regionale Handwerkstradition auf COR-TEN-Stahl setzte. Die heutige Epoche, die zweifellos als neue Renaissance bezeichnet werden kann, ist geprägt von Wissenschaft, Technik, Umweltschutz, Rückbesinnung auf tausendjährige Traditionen. Mit ihrem Vorstoß in stoffliches Neuland nehmen auch die Architekten darin einen festen Platz ein.